1. Das Paradox der Belehrung / Reihe: „Jenseits des Lehrweges – Über das Vertrauen, das nicht sucht“

Yoga Vāsiṣṭha – Das Ende der Unterweisung – Eine poetisch-philosophische Serie über Lehre, Erinnerung und das Vertrauen jenseits des Suchens.

Diese Reihe wurzelt im Yoga Vāsiṣṭha, einer der tiefgründigsten Schriften des indischen Denkens über Geist, Wirklichkeit und Befreiung. Sie stellt die Frage, warum selbst die Lehre vom Erwachen noch vom Trennen erzählt – und was geschieht, wenn das Lernen selbst verstummt. Ein stiller Weg durch Paradoxien, Lehrerworte und Schweigen – eine Einladung, das zu erkennen, was niemals gelehrt werden kann.

___

Warum jede spirituelle Unterweisung vom Trennen erzählt – und doch Einheit meint.

Es gibt eine feine Ironie in der Geschichte der Menschheit: Jede Lehre, die von Einheit spricht, muss sich in die Sprache der Trennung kleiden, um gehört zu werden. Denn Worte leben vom Gegensatz – Lehrer und Schüler, Anfang und Ziel, Wissen und Unwissen.

Was aber geschieht, wenn das, worüber gesprochen wird, diese Gegensätze auflöst? Das ist das Paradox der Belehrung: Sie kann nur das Gegenteil dessen ausdrücken, was sie meint.

Wenn ein Lehrer sagt: „Du bist frei“, schafft er zugleich das Bild eines, der es noch nicht ist.
Wenn eine Schrift verkündet: „Moksha ist schon da“, steht sie in der Zeit – und spricht doch von Zeitlosigkeit. Alles, was Lehre tut, ist, den Finger zu heben, in der Hoffnung, dass du nicht auf den Finger, sondern in den Himmel siehst. Die großen Weisen wussten das. Vasishtha, Shankara, Buddha, Ramana – sie sprachen in der Sprache der Zweiheit, weil es keine andere gibt. Doch ihre Worte tragen ein Echo in sich, das hinter ihnen verschwindet: „Was ich sage, ist nicht, was ich meine.“

Und darin liegt die stille Schönheit ihrer Täuschung. Denn vielleicht ist Belehrung nichts anderes als ein poetischer Akt: eine notwendige Fiktion, damit das Formlose einen Eingang findet. Lehre als Verkleidung der Stille, Buchstaben als Körper des Unsagbaren.

Erst wenn der Schüler erkennt, dass der Lehrer ihn nur zu sich selbst zurückführt, endet Belehrung – nicht im Verstummen, sondern im Erkennen: dass es nie zwei gab, die sich begegneten.

So erzählt jede Unterweisung von Trennung – und meint nur eines: die Erinnerung an das Eine, das sich in allem verlernt, um sich selbst wiederzufinden.

___

Diese Blogreihe „Yoga Vāsiṣṭha – Das Ende der Unterweisung“ findet ihre inhaltliche Heimat in Band XI – DAS HERZ DER LEERE (Herz-Sutra & Prajñāpāramitā) aus der Buchreihe WEISHEITSWISSEN / Kategorie: Spirituelle Philosophie & Weisheitsliteratur für den inneren Weg (erscheint Mai 2026).



de_DEGerman