3. Tanumānasa – Verfeinerung, wo der Geist durchscheinend wird / Die dritte der sieben Bhumikas

Folge 3 der Reihe „Die sieben Bhumikas“ – Eine poetisch-philosophische Serie über Täuschung, Erkenntnis und das leise Erwachen im Lärm unserer Zeit. Die Sieben Bhumikas sind die sieben Stufen der spirituellen Evolution, wie sie im Yoga Vasishtha beschrieben werden und im Kommentar von Brahmananda zur Hatha Yoga Pradipika beschrieben werden. Bhumika heißt Stufen.

Es gibt einen Punkt auf dem inneren Weg, an dem das Denken nicht mehr das Maß aller Dinge ist – sondern durchsichtig wird. Nicht verschwindet, nicht bekämpft, nicht besiegt. Sondern sich von selbst lichtet. Nicht weil es falsch ist, sondern weil es erkannt wird – als Werkzeug, nicht als Wesen.

Tanumānasa bedeutet: ein verfeinerter, „dünner“ Geist. Ein Geist, der nicht mehr an allem haftet, was er berührt. Der nicht mehr jede Wahrnehmung festhalten, bewerten oder deuten muss. Er tastet noch – aber sanft. Er betrachtet – aber beansprucht nicht mehr. Die Gedanken sind noch da, doch sie bestimmen nicht mehr die Richtung. Es ist, als würde der Sturm in ein weites Feld treten. Und der Mensch beginnt zu hören, was hinter dem Denken liegt.

Diese Stufe ist kein Ziel – sie ist eine Schwelle. Wer hier steht, verlässt nicht die Welt, sondern ihre Verstrickung. Es ist das Stadium nach dem ersten Aufwachen, nach dem ersten Erkennen von Avidya, von Unterscheidung, von Wahrheit als Gegenwart. Doch nun wird der Blick weiter – nicht weil mehr gewusst wird, sondern weil weniger gebraucht wird.

Der Geist, der sich verfeinert, flieht nicht vor der Welt. Er durchdringt sie. Mit stiller Offenheit. Mit einem feinen Gehör für das Unausgesprochene. Mit einem Auge für das, was nicht sichtbar ist. Er urteilt nicht, er hält nicht fest, er stellt sich nicht über die Täuschung – aber auch nicht mehr unter sie.

Und so beginnt die Welt sich zu wandeln. Nicht äußerlich – sondern im Erleben. Ein Mensch, der nicht mehr reagiert wie früher, verändert nicht nur sich, sondern auch die Felder, in denen er lebt. Tanumānasa ist die Rücknahme der Projektion – nicht durch Verzicht, sondern durch Erkenntnis. Durch das stille Erkennen, dass vieles, was bisher als „Ich“ erschien, bloß eine Stimme war – nicht das Selbst.

Hier beginnt das Vertrauen ins Nichtwissen. In die Lücke zwischen den Gedanken. In das, was nicht benannt, nicht kontrolliert, nicht geplant ist. Hier beginnt der Übergang: von einem Geist, der weiß – zu einem Geist, der bereit ist, zu sehen.

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Hinführung zur Folge 3 – Verfeinerung – wo der Geist durchscheinend wird
Tanumānasa – die dritte Bhumika


Es gibt eine Schwelle auf dem inneren Weg, an der das Denken nicht mehr trägt – sondern licht wird. Nicht durch Wissen, sondern durch das, was übrig bleibt, wenn das Wissen vergeht.

Tanumānasa – die dritte Bhumika – beschreibt diesen Übergang. Der Geist wird durchscheinend. Die Bewegung nach innen verfeinert sich. Nicht weil die Welt leiser wird, sondern weil sich das Wahrnehmen wandelt. Zwischen Reiz und Reaktion entsteht Raum. Und in diesem Raum: Stille.

Verfeinerung ist keine Methode. Sie ist ein natürlicher Zustand, der eintritt, wenn die Spannung zwischen Werdenwollen und Erkennen nachlässt. Wenn Fragen nicht mehr greifen, sondern lauschen. Wenn Gewissheiten verblassen – und das Spüren an ihre Stelle tritt.

In dieser Folge geht es um die Kunst des Wahrnehmens ohne Urteil. Um das Sehen ohne Konzept. Um jene leise Reife, die entsteht, wenn das Ich nicht verschwindet, aber an Schwere verliert. Nicht Flucht aus der Welt – sondern ein anderes Dasein in ihr.

Was, wenn Klarheit nicht entsteht, indem etwas hinzugefügt wird – sondern indem etwas abfällt? Und was, wenn das Denken nicht unser Feind ist – sondern nur zu viel geworden ist, um das Wesentliche noch durchzulassen?

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„Die sieben Bhumikas“

Eine Serie über Täuschung, Erkenntnis und das leise Erwachen im Lärm unserer Zeit
 
Die Reihe besteht aus thematischen Impulsen, inspiriert von Patanjali, den sieben Bhumikas, der Bhagavad Gita und dem tiefen Menschsein in einer Welt voller Masken, Ablenkung und Sehnsucht. Jeder Beitrag ist ein stilles Tor – ein Spiegel, eine Frage, eine Erinnerung.

Avidya, im Kontext von Yoga und Buddhismus, bedeutet so viel wie Nichtwissen oder Unwissenheit, aber nicht im Sinne von fehlendem Wissen, sondern vielmehr als eine Verblendung oder falsche Sichtweise auf die Realität. Es ist die Grundlage für Leiden und wird als die „Mutter“ aller anderen Kleshas (Affekte oder Hindernisse) betrachtet.

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Hinweis zur Reihe: Diese Beitragsserie ist Teil des entstehenden Buches
„DIE RUHE HINTER DEN GEDANKEN – Patañjalis Yogasūtra – vier Stufen innerer Sammlung“
geschrieben von Kati Voß | Band I der Reihe WEISHEITSWISSEN / Kategorie: Spirituelle Philosophie & Weisheitsliteratur für den inneren Weg

Dieses Buch führt in die Tiefe des Yogasūtra – nicht als Technik, sondern als inneren Weg. In vier Abschnitten entfaltet sich ein stilles Verständnis von Sammlung, Klarheit und Selbstführung. Die jahrtausendealte Schrift wird hier neu lesbar: poetisch, erfahrungsnah, still. Patañjalis Pfad zur inneren Sammlung wird zur Einladung, dem Lärm des Denkens eine andere Kraft entgegenzusetzen – die Stille dahinter.

Erscheinung: November 2025 – Die Texte der Reihe „Die sieben Bhumikas sind begleitende Impulse dieses Werks.