Folge 7 der Reihe „Die sieben Bhumikas“ – Eine poetisch-philosophische Serie über Täuschung, Erkenntnis und das leise Erwachen im Lärm unserer Zeit. Die Sieben Bhumikas sind die sieben Stufen der spirituellen Evolution, wie sie im Yoga Vasishtha beschrieben werden und im Kommentar von Brahmananda zur Hatha Yoga Pradipika beschrieben werden. Bhumika heißt Stufen.
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Es gibt einen Zustand, der kein Zustand ist. Keine Erfahrung, kein Ziel, keine Steigerung des Bewusstseins. Turiya – „das Vierte“ – ist nicht etwas, das eintritt, sondern etwas, das immer war. Es ist nicht etwas, das erreicht wird – sondern etwas, das nicht mehr verdeckt ist.
Alle anderen Bhumikas – Sehnsucht, Erkenntnis, Verfeinerung, Klarheit, Loslösung, Durchdringung – waren wie Stufen auf einem stillen Abstieg ins Wesentliche. Doch Turiya kennt keine Stufen. Kein Oben, kein Unten. Es ist nicht jenseits der Welt – aber auch nicht in ihr. Es ist nicht das Ende – und doch hört hier alles auf, was gesucht hat.
In Turiya gibt es kein „Ich bin erwacht“. Kein „Ich habe erkannt“. Kein „Ich habe verstanden“. Denn dort, wo diese Sätze entstehen könnten, ist noch jemand da, der spricht. Doch Turiya ist wortlos. Und gerade darin liegt seine Wahrheit.
Wer hier verweilt – verweilt nicht. Denn es gibt keinen Ort mehr, an dem jemand sein könnte. Kein Beobachter. Keine Bühne. Kein Schleier mehr, der sich heben müsste. Nur noch Gegenwart. Unberührt. Formlos. Still.
Turiya ist kein spiritueller Höhepunkt. Es ist nicht das Licht – sondern die Quelle, aus der das Licht stammt. Es ist nicht Bewusstsein – sondern das, was selbst dem Bewusstsein zugrunde liegt. Das Auge sieht nicht sich selbst – und doch sieht alles durch es hindurch.
Nichts ist hier zu tun. Nichts zu erreichen. Kein Erwachen, kein Fortschritt, kein innerer Weg. Nur Sein – jenseits von Sein. Und wer versucht, es zu greifen, greift vorbei. Denn es kann nicht gedacht, nicht besessen, nicht gehalten werden.
Manche sagen, es sei Leere. Andere nennen es Fülle. Manche spüren Frieden. Andere das völlige Verschwinden aller Unterschiede. Doch was auch gesagt wird – es ist schon zu viel. Denn jedes Wort ist ein Rückfall in Zweiheit.
Vielleicht bleibt nur eines: ein stilles Verneigen. Nicht vor etwas Höherem. Sondern vor dem, was immer war. Unberührt von allen Wegen, doch in jedem Weg enthalten. Turiya ist das, was bleibt, wenn es keinen mehr gibt, der etwas erkennen will.
Und vielleicht – ganz vielleicht – ist es nicht das Ende des Weges, sondern seine stille Quelle.
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Hinführungstext zu Folge 7 – Turiya – Jenseits von Bild und Begriff
Es gibt eine Schwelle, an der der Weg endet – nicht weil man angekommen ist, sondern weil niemand mehr geht. Kein Ziel. Kein Fortschritt. Kein Ich, das erkennt. Nur noch ein stilles Verschwinden dessen, was sich selbst immer im Weg stand.
Turiya – das Vierte – ist kein Zustand. Keine Erfahrung. Kein Bewusstseinszustand unter vielen. Es ist das, was allem zugrunde liegt. Was weder innen noch außen ist. Was nicht gedacht, nicht benannt, nicht behalten werden kann – weil es jenseits des Greifbaren liegt.
Wer Turiya sucht, sucht vergeblich. Wer es erkennt, ist schon wieder davor zurückgewichen. Denn dort, wo noch jemand erkennt, ist noch Zweiheit. Turiya ist kein Licht. Es ist das, was leuchtet, ohne sich zu zeigen. Nicht das Auge – sondern das, wodurch das Auge sieht.
In dieser letzten Folge der Serie „Licht im Schleier – Wahrheiten am Rand der Welt“ geht es nicht um Erkenntnis, sondern um die Auflösung dessen, der erkennt. Kein Höhepunkt – sondern ein Verschwinden. Kein Ergebnis – sondern ein Sehen ohne Seher. Vielleicht ist es keine Antwort. Aber es beendet die Fragen.
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„Die sieben Bhumikas“
Eine Serie über Täuschung, Erkenntnis und das leise Erwachen im Lärm unserer Zeit
Die Reihe besteht aus thematischen Impulsen, inspiriert von Patanjali, den sieben Bhumikas, der Bhagavad Gita und dem tiefen Menschsein in einer Welt voller Masken, Ablenkung und Sehnsucht. Jeder Beitrag ist ein stilles Tor – ein Spiegel, eine Frage, eine Erinnerung.
Avidya, im Kontext von Yoga und Buddhismus, bedeutet so viel wie Nichtwissen oder Unwissenheit, aber nicht im Sinne von fehlendem Wissen, sondern vielmehr als eine Verblendung oder falsche Sichtweise auf die Realität. Es ist die Grundlage für Leiden und wird als die „Mutter“ aller anderen Kleshas (Affekte oder Hindernisse) betrachtet.
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Hinweis zur Reihe: Diese Beitragsserie ist Teil des entstehenden Buches
„DIE RUHE HINTER DEN GEDANKEN – Patañjalis Yogasūtra – vier Stufen innerer Sammlung“
geschrieben von Kati Voß | Band I der Reihe WEISHEITSWISSEN / Kategorie: Spirituelle Philosophie & Weisheitsliteratur für den inneren Weg
Dieses Buch führt in die Tiefe des Yogasūtra – nicht als Technik, sondern als inneren Weg. In vier Abschnitten entfaltet sich ein stilles Verständnis von Sammlung, Klarheit und Selbstführung. Die jahrtausendealte Schrift wird hier neu lesbar: poetisch, erfahrungsnah, still. Patañjalis Pfad zur inneren Sammlung wird zur Einladung, dem Lärm des Denkens eine andere Kraft entgegenzusetzen – die Stille dahinter.
Erscheinung: November 2025 – Die Texte der Reihe „Die sieben Bhumikas“ sind begleitende Impulse dieses Werks.