5. Asamsakti – Freiheit in der Verbundenheit / Die fünfte der sieben Bhumikas

Folge 5 der Reihe „Die sieben Bhumikas“ – Eine poetisch-philosophische Serie über Täuschung, Erkenntnis und das leise Erwachen im Lärm unserer Zeit. Die Sieben Bhumikas sind die sieben Stufen der spirituellen Evolution, wie sie im Yoga Vasishtha beschrieben werden und im Kommentar von Brahmananda zur Hatha Yoga Pradipika beschrieben werden. Bhumika heißt Stufen.

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Der Preis des Wissens ist das Nichtwissen
(Asaṁsakti – die Freiheit von Anhaftung)

Es gibt einen Punkt auf dem Weg, an dem Erkenntnis nicht mehr gesucht wird – weil sie sich als Überlagerung entpuppt hat. Nicht als Irrtum, sondern als Zwischenstation. Nicht als Feind, sondern als Gewand, das einst wärmte – und nun zu eng geworden ist. Was als Wissen galt, beginnt zu bröckeln. Nicht aus Mangel, sondern aus Reife.

Asaṁsakti ist der Zustand, in dem die Welt noch da ist – aber ihre Verlockung schwindet. Das Ich existiert noch – aber es wird durchlässig. Das Denken formt noch Begriffe – aber es bindet nicht mehr. Hier ist der Mensch nicht jenseits der Welt, sondern frei von ihrer Klebrigkeit. Er handelt, aber haftet nicht. Er liebt, aber besitzt nicht. Er erkennt – ohne sich selbst in dieser Erkenntnis zu verfangen.

Die fünfte Bhumika beschreibt nicht das Entsagen im äußeren Sinn. Sie beschreibt das leise Aufhören, etwas festhalten zu wollen. Die innere Loslösung geschieht nicht, weil die Welt schlecht ist – sondern weil ihre scheinbare Bedeutung an Tiefe verliert. Was bleibt, ist Präsenz ohne Projekt. Gegenwart ohne Ziel.

Der Preis des Wissens ist das Nichtwissen. Nicht als Rückfall – sondern als Öffnung. Die Erkenntnis, dass alles, was gewusst wurde, nur vorübergehender Halt war. Hier geschieht ein tiefer Wandel: vom Bedürfnis, zu verstehen – hin zur Fähigkeit, zu verweilen. Der Mensch lässt das Wissen los, wie man ein Bild loslässt, das lange Orientierung bot – nun aber die Sicht versperrt.

Asaṁsakti ist kein Zustand von Gleichgültigkeit. Es ist ein Zustand tiefer, stiller Durchdringung – jenseits von Reaktion, jenseits von Besitz. Eine Form von Berührtheit, die nicht mehr greift. Eine Art von Nähe, die nicht mehr fordert.

Wer hier verweilt, lebt noch immer in der Welt – doch er lebt nicht mehr aus ihr. Er erkennt, dass sich Wahrheit nicht fassen lässt. Und gerade deshalb beginnt sie, sich zu zeigen.


Hinführungstext für Folge 5 – Asamsakti

Asaṁsakti – die fünfte Bhumika – beschreibt diesen Zustand des Nichtanhaftens. Der Mensch lebt, liebt, handelt – doch er haftet nicht mehr an den Dingen, Rollen, Bildern. Das Ich beginnt sich zu lösen, nicht in Abwehr, sondern in Weite. Was bleibt, ist nicht Leere, sondern Raum: für alles, was geschieht, ohne dass es festgehalten werden muss.

In dieser Folge geht es um das stille Aufhören. Um das Loslassen von Bedeutung. Um ein Verweilen, das nicht mehr fragt, ob es genügt. Nicht, weil die Antworten gefunden wurden – sondern weil das Fragen selbst still geworden ist.

Was, wenn Reife nicht darin liegt, mehr zu wissen – sondern darin, weniger zu wollen? Und was, wenn Nichtanhaftung nicht Verzicht bedeutet – sondern die tiefste Form innerer Freiheit?

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„Die sieben Bhumikas“

Eine Serie über Täuschung, Erkenntnis und das leise Erwachen im Lärm unserer Zeit
 
Die Reihe besteht aus thematischen Impulsen, inspiriert von Patanjali, den sieben Bhumikas, der Bhagavad Gita und dem tiefen Menschsein in einer Welt voller Masken, Ablenkung und Sehnsucht. Jeder Beitrag ist ein stilles Tor – ein Spiegel, eine Frage, eine Erinnerung.

Avidya, im Kontext von Yoga und Buddhismus, bedeutet so viel wie Nichtwissen oder Unwissenheit, aber nicht im Sinne von fehlendem Wissen, sondern vielmehr als eine Verblendung oder falsche Sichtweise auf die Realität. Es ist die Grundlage für Leiden und wird als die „Mutter“ aller anderen Kleshas (Affekte oder Hindernisse) betrachtet.

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Hinweis zur Reihe: Diese Beitragsserie ist Teil des entstehenden Buches
„DIE RUHE HINTER DEN GEDANKEN – Patañjalis Yogasūtra – vier Stufen innerer Sammlung“
geschrieben von Kati Voß | Band I der Reihe WEISHEITSWISSEN / Kategorie: Spirituelle Philosophie & Weisheitsliteratur für den inneren Weg

Dieses Buch führt in die Tiefe des Yogasūtra – nicht als Technik, sondern als inneren Weg. In vier Abschnitten entfaltet sich ein stilles Verständnis von Sammlung, Klarheit und Selbstführung. Die jahrtausendealte Schrift wird hier neu lesbar: poetisch, erfahrungsnah, still. Patañjalis Pfad zur inneren Sammlung wird zur Einladung, dem Lärm des Denkens eine andere Kraft entgegenzusetzen – die Stille dahinter.

Erscheinung: November 2025 – Die Texte der Reihe „Die sieben Bhumikas sind begleitende Impulse dieses Werks.