Es ist ein seltsames Zeitalter, in dem Lüge als Pflicht getarnt und Wahrheit als Bedrohung empfunden wird. Nicht neu, gewiss, doch nie zuvor so fein gewoben, so vollständig in alle Stoffe des Menschlichen gesickert wie heute. Die Täuschung trägt keinen Namen – sie spricht in vielen Stimmen, trägt viele Masken, leuchtet in Bildschirmen und flüstert in Versprechungen. Sie ist nicht nur außen – sie ist innen. Ein Echo unseres eigenen Unwissens.
In den sieben Bhumikas, jenen inneren Stufen der Erkenntnis, ist Täuschung kein Feind, sondern ein Schleier.
Auf der ersten Stufe – Subheccha, der reinen Sehnsucht nach Wahrheit – ist Täuschung noch unbemerkt: der Mensch glaubt zu suchen, doch folgt er nur dem Spiel der Sinne. Er meint, er wache auf, doch träumt er tiefer als je zuvor. Es ist die Bühne der Welt, in der das Spiel des Verstandes dominiert, in der Werbung und politische Narrative sich um dieselbe Aufmerksamkeit streiten wie ein inneres Kind um Liebe. Wahrheit? Zu unbequem. Zu unlukrativ. Zu leer.
Patanjali, der stille Architekt des Yoga, sprach von Avidya – der Unwissenheit, der Grundwurzel allen Leidens. Diese Täuschung, so sagte er, besteht nicht nur darin, Falsches für wahr zu halten, sondern auch Wahres für falsch, das Flüchtige für ewig und das Unreine für rein. Wie tief dieses Missverständnis heute das menschliche Leben durchdringt, lässt sich nicht in Statistiken messen – wohl aber in der Stille jener, die sich abwenden, die sich fragen, ob sie selbst noch fühlen oder nur funktionieren. In Unternehmen, wo Gewinn über Gewissen herrscht. In Regierungen, wo Macht über Menschlichkeit siegt.
Vicharana, die zweite Bhumika, lehrt Unterscheidung. Doch wie soll ein Mensch unterscheiden, wenn die Grundlage seiner Weltwahrnehmung von Algorithmen gesteuert wird, die sein Bedürfnis nach Wahrheit mit Bequemlichkeit verwechseln? Wenn Meinungen als Wissen und Märkte als Götter erscheinen? Diese Täuschung ist subtil – sie tritt nicht wie früher mit Gewalt, sondern mit einem Lächeln. Sie sagt: „Du darfst alles sein.“ Und meint: „Solange du bleibst, was wir brauchen.“
Die Bhagavad Gita, jenes ewige Zwiegespräch zwischen Mensch und Göttlichem, zeigt in Arjuna einen Suchenden, der erkennen muss, dass sein Kampf kein äußerer ist. Krishna erinnert ihn: „Was ist wirklich, was ist Schein? Handle ohne Anhaftung. Durchschaue das Spiel.“
Doch der Mensch von heute kämpft nicht mit Bogen und Schild, sondern mit Meinung und Maske. Täuschung liegt nicht mehr nur in dem, was gesagt wird – sondern in dem, was verschwiegen bleibt. In dem, was sich als Mitgefühl ausgibt und doch Kontrolle will. In dem, was als Fortschritt erscheint, aber das Menschsein verlernt.
In der dritten Bhumika – Tanumanasa, dem Verfeinern des Geistes – wird Täuschung durchschaut wie Nebel im Morgenlicht. Doch wer erreicht diese Stufe in einer Welt, die pausenlos Lärm erzeugt, um das leise Sehen zu verhindern? Wie viele flüchten vor der inneren Leere in äußere Geschwindigkeit, vor der Demut in Dominanz, vor der Freiheit in Filterblasen? Der Mensch hat sich verirrt – nicht, weil er schlecht ist, sondern weil er vergessen hat. Die Täuschung liegt darin, dass er glaubt, er könne etwas „werden“, während das Wesentliche längst ist. Die tiefste Verfehlung ist nicht moralisch – sie ist metaphysisch: das Vergessen des eigenen Selbst. Das Verwechseln des Körpers mit dem Ich, des Denkens mit Weisheit, des Habens mit Sein.
Die „7 Bhumikas“ (auch bekannt als Sapta Bhumikas oder Jnana Bhumikas) sind sieben Stufen des spirituellen Fortschritts, wie sie in klassischen vedischen Texten wie der Yoga Vasistha und der Varaha Upanishad beschrieben werden. Sie skizzieren den Weg von der ersten Sehnsucht nach Wahrheit bis zur endgültigen Befreiung (Moksha) und werden besonders im Jnana Yoga betont. Hier ist eine Übersicht dieser sieben Stufen:
1. Śubhecchā – Der Wunsch nach Wahrheit
Dies ist der Beginn des spirituellen Weges, gekennzeichnet durch eine tiefe Sehnsucht nach Wahrheit und Selbstverwirklichung. Der Suchende entwickelt Unterscheidungsvermögen (Viveka) zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen, kultiviert Gleichmut (Vairagya) gegenüber weltlichen Freuden und strebt danach, sich von den Bindungen des Samsara zu befreien.
2. Vicāraṇa – Selbstbefragung
In dieser Phase beginnt der Praktizierende mit intensiver Selbstreflexion und dem Studium spiritueller Schriften unter Anleitung eines Lehrers. Durch tiefes Nachdenken über Fragen wie „Wer bin ich?“ und „Was ist die wahre Natur der Realität?“ vertieft sich das Verständnis des Selbst.
3. Tanumānasa – Verfeinerung des Geistes
Der Geist wird ruhig und fokussiert, frei von Ablenkungen durch äußere Sinnesobjekte. Der Praktizierende entwickelt eine tiefe Konzentration auf das Selbst, wodurch der Geist „dünn“ oder subtil wird und sich auf das Eine richtet.
4. Sattvāpatti – Erreichen von Reinheit
In dieser Stufe wird der Praktizierende zum „Brahmavid“ – einem Kenner des Brahman. Es entsteht eine direkte Erfahrung der Einheit allen Seins, frei von Dualität. Der Geist ist vollständig gereinigt und ruht in der Wahrheit.
5. Asaṃsakti – Nichtanhaftung
Der Praktizierende bleibt unberührt von weltlichen Angelegenheiten, obwohl er weiterhin in der Welt handelt. Es besteht völlige Losgelöstheit von den Früchten des Handelns und eine tiefe Verankerung im Selbst.
6. Padārtha Bhāvana – Wahrnehmung der Realität
Die Welt wird als Manifestation des Brahman erkannt. Der Praktizierende sieht keine Trennung mehr zwischen dem Selbst und der äußeren Welt; alles wird als Ausdruck derselben ultimativen Realität erfahren.
7. Turīya – Der überbewusste Zustand
Dies ist der Zustand der vollständigen Befreiung, in dem der Praktizierende dauerhaft in Samadhi verweilt. Es gibt keine Identifikation mehr mit Körper oder Geist; das Selbst ist vollständig mit dem Absoluten verschmolzen.