Yoga Vāsiṣṭha – Das Ende der Unterweisung – Eine poetisch-philosophische Serie über Lehre, Erinnerung und das Vertrauen jenseits des Suchens.
Diese Reihe wurzelt im Yoga Vāsiṣṭha, einer der tiefgründigsten Schriften des indischen Denkens über Geist, Wirklichkeit und Befreiung. Sie stellt die Frage, warum selbst die Lehre vom Erwachen noch vom Trennen erzählt – und was geschieht, wenn das Lernen selbst verstummt. Ein stiller Weg durch Paradoxien, Lehrerworte und Schweigen – eine Einladung, das zu erkennen, was niemals gelehrt werden kann.
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Der Widerspruch zwischen Weg und Wirklichkeit – warum Befreiung kein Ziel, sondern das Aufhören der Suche ist.
Moksha – das Wort klingt nach Ziel, nach Ankunft, nach einem letzten Schritt über die Schwelle des Menschseins hinaus. Doch was, wenn es kein Ziel gibt? Wenn Moksha nichts ist, das erreicht werden kann, sondern das, was nie verloren war?
Der Mensch sucht Freiheit, als wäre sie irgendwo außerhalb von ihm, jenseits der Mühen, hinter den Jahren der Praxis und des Verzichts. Aber wie kann man finden, was nie getrennt war vom Suchenden selbst?
Der Geist denkt in Strecken und Stufen. Er liebt den Weg, weil der Weg ihm Identität gibt. Doch der Weg ist das Hindernis. Solange der Mensch glaubt, sich bewegen zu müssen, bleibt er gebunden – an sich selbst, an den Gedanken der Befreiung, an die Vorstellung, dass es etwas zu überwinden gibt.
In Wahrheit gibt es keine Befreiung, weil es nie eine Gefangenschaft gab. Es gibt nur das Erwachen aus der Idee, dass etwas nicht vollständig wäre.
Das Yoga Vāsiṣṭha sagt: „Moksha ist keine Sache, die erreicht werden kann. Moksha ist schon da.“ Dies ist keine poetische Metapher, sondern ein Umsturz im Denken – eine völlige Entwaffnung des Geistes, der ständig in Ursache und Wirkung rechnet. Die Wahrheit ist nicht später. Sie ist nicht nach der Läuterung, nach der Meditation, nach der Lehre. Sie ist das, was all das schon jetzt durchdringt. Sie ist das, was denkt, sucht und fragt. Sie ist das, was sieht – auch das Sehen selbst.
Wenn der Mensch erkennt, dass selbst sein Irrtum in Wahrheit Ausdruck des Ganzen ist, dann zerfällt der Unterschied zwischen Wissen und Unwissen. Dann ist auch der Irrtum geheiligt. Dann wird selbst das Nichtverstehen zu einem Teil der Vollkommenheit.
Das ist Moksha – nicht als Zustand, sondern als Sehen. Keine Flucht aus der Welt, sondern ein Ankommen in ihr. Es ist der Moment, in dem der Gedanke aufhört, der Welt zu misstrauen. In dem Vertrauen nicht mehr gelernt, sondern gelebt wird. In dem selbst das Tun unschuldig wird. Moksha ist das Auge, das sieht, dass es nie geschlossen war. Das, was du suchst, schaut schon jetzt durch dich hindurch.
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Diese Blogreihe „Yoga Vāsiṣṭha – Das Ende der Unterweisung“ findet ihre inhaltliche Heimat in Band XI – DAS HERZ DER LEERE (Herz-Sutra & Prajñāpāramitā) aus der Buchreihe WEISHEITSWISSEN / Kategorie: Spirituelle Philosophie & Weisheitsliteratur für den inneren Weg (erscheint Mai 2026).